Musik

Chuck Mangione Children of Sanchez Remaster in Hi-res Audio

Children of Sanchez sei kein typisches Soundtrack-Album, schreibt Chuck Mangione in den Liner-Notes, vielmehr die ganz persönliche Auswahl aus insgesamt 23,5 Stunden Musik, die der Jazz-Musiker für den gleichnamigen Film komponierte und aufnahm. Es ist also nicht weiter erstaunlich, dass dieses Album eher einem Konzept-Album gleicht, und daher auch gänzlich ohne bewegte Bilder in seinen Bann zieht.


Das Komponieren und die Aufnahme dieses Albums war eines der intensivsten und emotionalsten Erlebnisse seines Lebens, erläutert Chuck Mangione die Arbeit an dem Album „Children of Sanchez“. Für ihn persönlich sei dies die stärkste Musik, die er je komponierte, und es erfülle ihn mit großem Stolz, dass er dieses Erlebnis durch das Album mit anderen teilen könne.

Diese paar Sätze auf der Rückseite des Albums verdeutlichen sehr gut, was den Zuhörer auf insgesamt zwei CDs oder zwei Vinyl-Scheiben erwartet: Emotion pur, mit Höhen und Tiefen, energiegeladen feurig, oder sanft und melancholisch bis geradezu depressiv, beginnend bei den ersten Gesangspassagen der Ouvertüre bis hin zum letzten Ausklingen der Bläsersätze des Finales, eine Stunde und 24 Minuten später.

„Children of Sanchez“, das war zunächst nicht mehr als ein Buch des 1914 in New York geborenen Schriftstellers und Anthropologen Oscar Lewis. Lewis widmete sich in seinen Werken vorwiegend den Problemen von Einwanderern, wobei er eigentlich zunächst am Brooklyn College und anschließend der Washington University unterrichtete.

Das 1961 veröffentlichte Buch „Children of Sanchez“ trägt den Untertitel „Autobiography of a mexican family“ und erzählt die Geschichte eines verarmten mexikanischen Bauern, der, verwitwet, nach Mexico City zieht, und dort in den Slums als Tagelöhner versucht, den Unterhalt für seine vier Kinder und sich selbst zu bestreiten.

Da Lewis in seinem Buch nicht mit Kritik an vorherrschenden sozialen Mißständen sparte und dafür offen die damalige Regierung in die Verantwortung nahm, sorgte „Children of Sanchez“ für viel Aufsehen, natürlich vor allem in Mexico. Mit der Begründung, dass es einem Ausländer nicht zustehe, Kritik an der mexikanischen Regierung zu üben, wurde das Buch lange Zeit in Mexiko verboten.

Im Jahr 1977 diente das Buch von Oscar Lewis dem Regisseur Hall Bartlett als Vorlage für seinen gleichnamigen Film. Das Drehbuch wurde von Cesare Zavattini erarbeitet, der mit nahezu allen führenden Hollywood-Regisseuren zusammenarbeitete und sich in diesem Fall – erfreulicherweise – stark an der Vorlage von Lewis orientierte.

Der Film war prominent besetzt. So spielte Anthony Quinn die Hauptrolle des Jesus Sanchez, der perfekt die Rolle des zwar schon rund 50jährigen, aber dennoch überaus attraktiven mexikanischen Bauern verkörperte. In weiteren Rollen spielen unter anderem Lupita Ferrer als seine Tochter Consuelo und Stathis Giallelis als Roberto. Es war zudem der letzte Film, in dem Dolores del Rio mitwirkte, die in den 50iger Jahren auf dem Höhepunkt ihrer Karriere in zahlreichen Produktionen zu sehen war und auch internationalen Ruhm erlangen konnte. In einer kleinen Nebenrolle, ohne namentliche Nennung, ist übrigens auch Bette Davis zu sehen.

Für die Filmmusik engagierte der Regisseur Hall Bartlett den Jazz-Musiker Chuck Mangione, der eben erst sein Album „Feels so good“ fertigstellte und eine ausgedehnte Tour hinter sich gebracht hatte, und daher zu diesem Zeitpunkt ganz und gar nicht auf unmittelbare weitere Projekte eingestellt war. Hall zeigte ihm zunächst einige Rohschnitte des Films, bereits unterlegt mit Musik von Mungione, um dem Künstler seine Vorstellungen zu verdeutlichen. Für Mangione war es ein unwiderstehliches Angebot, Musik für einen Film komponieren zu dürfen, allerdings mit einem entscheidenden Problem, wie er in den Liner-Notes anführt: aus unerfindlichen Gründen musste die Musik in lediglich drei Wochen komponiert, arrangiert und aufgenommen werden, auch wenn der Film zu diesem Zeitpunkt nicht einmal annähernd fertiggestellt war.

Die einzige Möglichkeit, so Mangione, dies zu realisieren, war, sich einiger grundlegender Themen zu bedienen, und diese zu variieren. Eine Arbeitsweise, die dem Jazz-Musiker und seinem Quintett durchaus entgegen kam, sodass er die ihm gestellte Aufgabe mit Freude und voller Begeisterung übernahm.

Er habe sich einfach ein Klavier in ein Hotelzimmer stellen lassen und sich tagelang eingesperrt, um, wie Mungione selbst anmerkt, geradezu besessen die Hauptfragmente für den Film-Score zu erarbeiten. Trotz, oder gerade wegen dieses immensen Zeitdrucks und der intensiven Arbeitsweise gelang es Mangione, anhand der eindrucksvollen ersten Bilder des Films die wohl stärksten Gefühle, die er in seinem bisherigen Leben fühlte, in Erinnerung zu rufen und in Musik zu fassen.

Ähnlich intensiv dürfte die Erarbeitung der Arrangements und die Aufnahme des Albums im Studio gewesen sein, wobei Chuck Mangione sich nicht nur auf seine „Stammbelegschaft“ verließ, sondern zahlreiche Gastmusiker einlud. Dennoch dürfte ein ganz besonderer Zauber über den Aufnahme-Sessions gelegen haben. Denn viele der Stücke, die auf dem finalen Album zu hören sind, seien in einem Stück eingespielt worden, so Mangione. Mehr noch, so mancher Track ist defakto nicht mehr als eine Improvisation, die basierend auf einem Grundthema oder einiger weniger Fragmente von den Musikern benutzt wurden. Manches davon war dermassen perfekt, dass es ebenfalls gleich vom einfach mitlaufenden Band, also vom allerersten Take für das Album herangezogen wurde.

Wer das erste Stück des Werkes, die Ouvertüre hört, mag kaum glauben, dass dies keine aufwendige, stundenlange Produktion ist, sondern am Stück eingespielt wurde, im konkreten Fall war es ebenfalls der allererste Take. Andere Stücke wiederum entstanden, wie bereits angedeutet, mehr durch Zufall denn geplant. Es sei drei Uhr morgens gewesen, als einer der Musiker, Chris Vadala, sich eine Notiz von Mangione nahm, und sich mit seiner Klarinette hinsetzte, und einfach darauf los improvisierte. Don Potter gesellte sich dazu, und begann die eilig von Mangione hingekritzelten Lyrics dazu zu singen und wie immer lief das Band im Aufnahmeraum mit – das Resultat dieser Session ist als „Lulaby“ auf dem Album zu hören.

Nach nur wenigen Tagen waren so die bereits erwähnten 23 Stunden und 30 Minuten Aufnahme-Sessions aufgezeichnet, die als Grundlage für die Filmmusik und dieses Album dienten.

Eröffnet wird „Children of Sanchez“, wie es sich gebührt, mit einer Ouvertüre, die aber einige Überraschungen bereit hält. Denn zunächst erklingt nur die Stimme von Don Potter, der den Gesangspart auf diesem Album übernahm, ausschließlich mit klassischer Gitarre begleitet. Eine Mischung aus Sprechgesang und sehr langsam vorgetragener Gesangslinie stellt dem Zuhörer das Hauptthema und gleichzeitig durch die Lyrics die grundlegende Geschichte des Films vor. Bis in der 3 Minute und 30 Sekunden die Gitarre mit einem Sus-Akkord ihren Vortrag fürs erste beendet und Don Potter die Zeile „I will always hear, the children of Sanchez“ mit Inbrunst und langgezogen ausklingen lässt.

Bei 3:41 bricht ein wahres Schlagzeug- und Percussion-Feuerwerk los, das bis zum Ende nach 14 Minuten und 18 Sekunden immer wieder aufblitzt und durch gewaltige, im Staccato gespielte Bläsersätze verstärkt wird. Eine mächtige Klangkulisse also, die aber immer wieder durch überaus beschwingte, rhythmisch überaus fein phrasierte und damit mitreissende leisere Passagen mit Solo-Stimmen im Mittelpunkt unterbrochen werden. Hierbei wechseln sich die verschiedensten Instrumente ab, wobei natürlich Chuck Mangione am Flügelhorn den Hauptpart trägt.

Doch darf man sich von dieser Eröffnung nicht in die Irre führen lassen. Der Rest des Albums ist – bis auf das Finale, das konsequenterweise eine Reprise der Ouvertüre darstellt – völlig anders komponiert und arrangiert. Fast könnte man den Eindruck gewinnen, dass die Musiker, allen voran natürlich auch der Komponist Chuck Mangione, bereits in der Ouvertüre ihr komplettes Pulver verschossen haben, denn alles folgende ist in den meisten Fällen eine Variation des Hauptthemas aus der Ouvertüre. Doch Chuck Mangione ist, genauso wie sein Quintett und alle Gastmusiker bei dieser Aufnahme, ein Vollblut-Jazzmusiker, für die Improvisation die einzig wahre Form ist, um sich ausdrücken zu können. Und in diesem Fall bietet sich reichlich Platz, um alle Variationen, die die Grundthemen aus der Feder von Chuck Mangione bieten, mit allen Details und in allen erdenklichen Spielarten entfalten zu lassen.

Dabei wird der Zuhörer auf eine wahre Achterbahnfahrt der Emotionen mitgenommen, die sich zwischen dem feurigen, energiegeladenen Opener bis hin zu schwermütigen, getragenen Nummern, aber auch bis hin zu beschwingten oder geradezu zuckersüßen Passagen zieht und – wie bereits erwähnt – vom Finale abgeschlossen wird. Selbstverständlich blitzt überall der typische mexikanische bzw. südamerikanische Sound und die entsprechende Leidenschaft durch.

Neben den Kompositionen von Chuck Mangione macht natürlich die Genialität der Musiker viel vom Zauber dieses Albums aus. Mungione selbst spielt nicht nur Flügelhorn, sondern auch Klavier und E-Piano, Chris Vada steuert Sopran als auch Tenor-Saxophon bei, aber ebenso auch Piccolo-, Alt-Flöte und Klarinette. Grant Geissman an den Gitarren, Charles Meeks am Bass und James Bradly Jr. an den Drums und der Percussion vervollständigen die Band. Den Gesang steuerte Don Potter bei, und zahlreiche weitere Musiker unter der Leitung von Gerry Vinci waren für den überaus beeindruckenden Klang verantwortlich, der innerhalb weniger Tage von Mick Guzauski in den Kendun Recorders Studios in Burbank, Kalifornien, auf Band verewigt wurde. Das Editing übernahm neben dem Tontechnicker Guzasky Mangione selbst, und wurde dabei von Don Potter, Bill Reichenbach und Gerry Vinci unterstützt.

Fürs finale Mastering war niemand geringerer als der legendäre Bob Ludwig verantwortlich, der dies, wie zumeist, in den Masterdisk Studios in New York erledigte. Als Produzent der gesamten Aufnahme fungierte Chuck Mangione selbst.

Mit „Children of Sanchez“ lieferte Chuck Mangione wahrhaftig eines seiner eindrucksvollsten Werke ab, das schon für sich allein – ganz ohne Film – eine immense Wirkung ausstrahlt, schon allein durch die Musik Bildassoziationen im Zuhörer erweckt und daher schlicht und einfach begeistert.

Auch wenn zunächst vor allem das Titelstück, also die Ouvertüre, der einfachste Zugang zu diesem Album ist – schließlich ist es die einzige Nummer auf diesem Album, die einem herkömmlichen Pop/Rock-Song gleicht, sollte man sich auch den Rest des Albums vornehmen, denn erst dann eröffnet sich die ganze Vielfalt, die dieses Album bereithält.

Erstaunlich ist nämlich, dass es dazu in keinster Weise einer Vielzahl an unterschiedlichen Stilen und Melodien bedarf. Zumeist kreist der Vortrag rund um das Hauptthema, das aber durch verschiedenste Arrangements, verschiedenste Instrumente und unterschiedliche Variationen derart vielseitig erscheint und unterschiedlichste Stimmungen und Emotionen ausdrücken kann, sodass dieses Album ein erstklassiges Konzeptalbum darstellt, das man einfach wirklich am Stück hören muss.

Chuck Mangione erhielt für das Titelstück des Albums 1978 einen Grammy-Award in der Kategorie „Best Pop Instrumental Performance“.

Bislang stand das herausragende Album allen voran als Doppel-CD zur Verfügung. Hierzu muss leider gesagt werden, dass diese CD wohl geradezu klischeehaft dafür stehen kann, was man CDs „vorwirft“. Dem Album fehlt jedwede Dynamik, und das ist gerade hier besonders tragisch, denn allen voran das Titel-Stück lebt gerade von Dynamik, ist ein Paradebeispiel dafür, was Dynamik bedeutet. Auf CD klingt es flau, schlimmer noch, man hört hier tatsächlich die Kompression, den Limiter, der hart und abrupt einsetzt. Das macht keinen Spass.

Wir meinen…

Will man das Album in voller Pracht genießen, so musste man bislang zur Schallplatte greifen, denn erfreulicherweise findet man dieses immer wieder in teils sogar gutem Zustand auf dem Gebrauchtmarkt. Hinzu kommt, dass „Children of Sanchez“ bereits mehrfach neu aufgelegt wurde und auch die Neupressungen zumeist in erstaunlich guter Qualität gefertigt wurden.

Von Schallplatte ist es pure Energie, die sich wohl dosiert, aber ungezügelt entfalten kann.

Nun steht aber zudem auch ein neues Remaster zur Verfügung, und zwar in Hi-res Audio. Ab sofort kann man sich also auf einschlägigen Plattformen „Children of Sanchez“ in Hi-res Audio mit 24 Bit und 96 kHz laden.

Chuck Mangione - Children of SanchezChildren of Sanchez
Artist:Chuck Mangione
Composer:Chuck Mangione
Genre:Pop, Jazz
Label:A&M Records
Format:Audio CD, Vinyl, Download, Hi-res Download
Year:1978

Wertung

MUSIK
KLANG

Must-have

Mit „Children of Sanchez“ lieferte Chuck Mangione wahrhaftig eines seiner eindrucksvollsten Werke ab, das schon für sich allein - ganz ohne Film - eine immense Wirkung ausstrahlt, schon allein durch die Musik Bildassoziationen im Zuhörer erweckt und daher schlicht und einfach begeistert.

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Michael Holzinger

Michael Holzinger, Gründer und Chefredakteur von sempre-audio.at | Der HiFi Blog - Das HiFi Magazin und HiFi BLOG, ist seit Jahren als Journalist in den Bereichen IT, Fotografie, Telekommunikation und Unterhaltungselektronik tätig. Mit HiFi.Luxury,Vinyl Blog und Smart Appliances by sempre-audio.at begründete er zudem weitere Plattformen, die für modernen Lebensstil stehen.

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